Der Internationale Tag für Gute Arbeit ist in diesem Jahr so aktuell, wie seit vielen Jahren nicht mehr. Die Corona-Krise weckt Begehrlichkeiten in der Wirtschaft. Klar, Corona führte zu einer Rezession. Nun werden in den letzten Jahren hart erkämpfte Rechte für Arbeitnehmer*innen wieder in Frage gestellt und sozialdemokratische Ziele mit allen Mitteln bekämpft. Corona ist für die Wirtschaft und für wirtschaftsnahe Politiker*innen Anlass, das auszusprechen, was sie sich in den letzten Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs nicht getraut haben, zu sagen.
In Nordrhein-Westfalen nennt sich das Entfesselung. Ich nenne es einen Tritt in den Rücken der Menschen in unserem Land. In der Vergangenheit traf es zum Beispiel die Mieter*innen durch den Rückbau des Mieterschutzes. Jetzt sind die Arbeitnehmer*innen dran. Die Landesregierung um Armin Laschet und Andreas Pinkwart hat eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, die es in sich hat.
Der größte Hammer: sachgrundlose Befristungen sollen erleichtert werden. Der/die Arbeitnehmer*in soll gefälligst flexibler werden, damit die Wirtschaft flexibel auf Corona reagieren kann. Ob Corona der wahre Grund für diesen Geschenk an die Wirtschaft ist, wage ich mal zu bezweifeln. Es dürfte eher der Wunsch nach flexibleren Wegen, die Arbeitskosten niedrig zu halten, sein. Wer nur einen befristeten Vertrag besitzt, der muckt bei Tarifverhandlungen halt auch nicht auf, schließlich hat er ja nach Auslaufen des Vertrags die Hoffnung, weiterbeschäftigt zu werden.
Wir als SPD sollten daher weiter unseren Weg gehen, die sachgrundlose Befristung in Gänze abzuschaffen. Ein erster Schritt dahin steht übrigens im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Demnach soll die Anzahl der befristet Beschäftigten in Unternehmen mit mehr als 75 Beschäftigten auf 2,5% begrenzt werden. Ein erster, aber umso wichtigerer Schritt. Der ist aber gefährdet, denn in der Bundesregierung wird diese Maßnahme seit Monaten geschoben. Dagegen müssen wir vorgehen und als Partei Druck auf Bundesregierung und Bundestagsfraktion machen!
Die sachgrundlose Befristung ist nicht verhandelbar!
Es darf nicht sein – und das betrifft vor allem die jüngere Generation – dass man von einem befristeten Arbeitsverhältnis ins nächste geschickt wird. Wer soll denn da noch sein Leben und seine Familie planen können?
Mit ihrer Entfesselungspolitik will die Landesregierung aber auch die Attraktivität des Niedriglohnsektors aufrecht erhalten. Die Verdienstgrenze bei einem Minijob soll von 450 auf 530 Euro angehoben werden. Damit wollen sie auf den Mindestlohn reagieren, der demnächst deutlich steigen wird.
Minijobs sind immer noch für viele Menschen der einzige Einkommenserwerb – viel zu oft in Kombination mit Sozialleistungsbezug. Vom Minijob allein kann kein Mensch leben. Das sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnis muss daher wieder für alle Menschen, die davon ihre Existenz bestreiten, zur Pflicht werden. Nur so verhindern wir Armut – gerade im Alter. Wer nur im Minijob arbeitet, der erwirtschaftet am Ende des Tages keine Rentenansprüche. Keine soziale Absicherung. Im Grunde bedeutet diese Beschäftigungsform eine Subventionierung der Wirtschaft auf Kosten der Steuerzahler*innen. Darüber wird in dieser Debatte viel zu wenig geredet.
Wenn es nach der NRW-Landesregierung geht, soll auch das geplante Lieferkettengesetz im Bund gestrichen werden. Eigentlich sollten Unternehmen zukünftig dafür haften, wenn bei Vorprodukten, Rohstoffen und Dienstleistungen ihrer ausländischen Lieferanten gegen Arbeits-, Menschen- und Umweltrechte verstoßen wird, z.B. bei Kinderarbeit, dem Abholzen geschützter Wälder, Verschmutzung der Umwelt oder Verstößen gegen internationale Arbeitsrechte.
Dieses Gesetz wollen sie nun verhindern. Und das geht auch zu Lasten vieler Menschen, die in weniger entwickelten Ländern unter miserablen Bedingungen arbeiten und leben müssen – nur damit unsere Wohlstandsgesellschaft günstig konsumieren kann. Es gefährdet aber auch Arbeitsplätze in Deutschland, denn hier sind Umwelt- und Arbeitsstandards zu Recht hoch. Dies erhöht aber auch den Druck auf die Arbeitnehmer*innen in Deutschland, gerade die in der Industrie. Wenn wir aber faire Arbeit in Deutschland und in der Welt haben wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass der Druck in weniger entwickelten Ländern steigt, hier die Umwelt- und Arbeitsstandards zu erhöhen. Und nicht den Druck in Deutschland erhöhen, um Standards weiter zu schleifen, und dadurch konkurrenzfähig zu bleiben.
Ich jedenfalls lehne es ab, dass ausschließlich die Arbeitnehmer*innen die Folgen von Corona tragen sollen. Und ich kann jede*n nur bitten, die Augen aufzumachen und zu hinterfragen, in welchem Interesse die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen geschleift werden sollen. Ist wirklich Corona der Grund oder ist Corona eher ein willkommener Anlass?