Häusliche Gewalt soll in Zeiten von Corona zurückgegangen sein? Das sagt zumindest NRW-Innenminister Herbert Reul, der gestern verlautbarte, dass die Zahlen der Fälle von häuslicher Gewalt während der Coronakrise in NRW im Zeitraum 1. März bis 13. April 2020 auf 3.200 zurückgegangen seien. Im Vorjahreszeitraum habe die Zahl noch bei 4.500 Fällen gelegen. An der Aussagekraft der von Innenminister Reul bekannt gegebenen Zahlen habe ich jedoch erhebliche Zweifel.
Fehlende Zugänge zu Hilfsangeboten in Corona-Zeiten
Ein realitätsferner Rückgang von 30 Prozent kann nur das Resultat von fehlenden Zugängen sein. Durch die Krisensituation suchen die Frauen die Schutzeinrichtungen nicht auf, zum einen weil sie die Gesamtsituation für die Familie nicht verschärfen möchten und zum anderen weil sie sich vielleicht keiner weiteren Ungewissheit aussetzen möchten. Gleichzeitig erzeugt die ständige Nähe zum Täter eine enorme Drohkulisse. In Krisensituationen werden Machtverhältnisse in der Beziehung ausgespielt.
Alle Expert*innen warnen beim Thema Häusliche Gewalt schon lange vor der hohen Dunkelziffer. Schulen, Kitas, Jugendtreffs und Vereine sind geschlossen. Begegnungen mit Menschen außerhalb des engsten Familienkreis sind stark zurück gegangen. Fälle, in denen Kinder oder Frauen Gewalt ausgesetzt sind, werden dadurch schwerer erkannt. Es fehlen den Betroffenen Vertrauenspersonen, denen sie sich öffnen können. Deshalb sind Zweifel an der Aussagekraft über einen vermeintlichen Rückgang der Zahlen häuslicher Gewalt mehr als berechtigt.
Anstatt sich mit den reinen Fallzahlen zu begnügen, sollte sich die Landesregierung darüber Gedanken machen, wie sie von Gewalt betroffene Frauen und Kinder erreichen kann. Viele Opfer wissen eben nicht, wie sie sich Hilfe holen können. Hier könnte der Ausbau an digitalen Möglichkeiten eine schnelle Hilfe sein.
Widerspruch von Expert*innen
Selbst der Corona-Expertenrat der Landesregierung spricht von einer ,Zunahme häuslicher Gewalt und Kindeswohlgefährdung’. Wenn der Kinder- und Frauenschutz zur Legitimation eines raschen Ende des Lockdowns dienen soll, wird er gerne als Argument herangezogen, ansonsten spielt die Landesregierung die Gefahr für Kinder und Frauen herunter.
Von Beginn der Krise an hat die SPD den Kinderschutz in den Mittelpunkt ihrer Anfragen gestellt und dazu ein 15-Punkte-Papier vorgelegt. Hierzu gehört, dass Schulen und Kitas weiter Kontakt halten, Mittel für den Kinderschutz zu 100 Prozent ausgezahlt und Telefon- und Onlineberatungen ausgebaut werden.“
Genauso haben wir eingefordert, dass die Träger der Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen finanzielle Hilfen aus dem Corona-Nothilfefonds erhalten, um ihre Kapazitäten auszubauen und digitale Angebote zu schaffen. Bis jetzt ist die Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach jedoch nicht tätig geworden. Sie will die Lage erst abwarten. Dass die von Gewalt betroffenen Frauen nicht wie die Ministerin warten können, werde ich ihr in der nächsten Woche im Gleichstellungsausschuss erneut deutlich machen.