Heute ist der Internationale Tag für die Beseitigung der Armut. Armut – Was ist das eigentlich? Kann man das überhaupt so pauschal sagen? Gibt es dafür eine Definition? Die geläufigste Variante Armut zu messen, ist vom Durchschnittseinkommen oder vom mittleren Einkommen einer Gesellschaft auszugehen, und dann eine Schwelle zu definieren, unter der Menschen als arm gelten. Dies können 40%, 50% oder auch 60% des mittleren Einkommens sein. Unabhängig von der genauen Schwelle, ab der jemand als arm gilt, ist man sich in einem Punkt einig: Die Zahl der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben müssen, ist in Deutschland in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Laut Hans-Böckler-Stiftung, die die Armutsgrenze bei 60% des mittleren Einkommens sieht, ist die Armutsquote in Deutschland von 10,6% im Jahr 1998 auf 15,9% im Jahr 2019 gestiegen.
Gerade im Ruhrgebiet (Armutsquote bei 21,1%) und in Dortmund (auch 21,1%) haben wir immer noch eine hohe Armutsquote im Vergleich zu anderen Regionen Deutschlands. Dies fällt auch auf, wenn man mit offenen Augen durch die Stadt geht. Am Offensichtlichsten sind dabei die obdachlosen Menschen, die im Innenstadtbereich betteln. Pure Armut und verloren gegangene Existenzen werden bei einem einfachen Gang über den Westenhellweg offenkundig. Die Tage sprach mich ein junger Mann auf dem Westenhellweg an und fragte nach etwas Kleingeld. Es war eindeutig, dass er auf der Straße lebt. Sein Schlafplatz mit Isomatte und seinem Hab und Gut war nur ein paar Meter entfernt. Ich unterhielt mich etwas mit ihm und fragte nach seinem Alter und der Entwicklung, die ihn auf die Straße brachte. Der junge Mann war gerade einmal 30 Jahre alt, seine Eltern verstorben und er sei vor kurzem arbeitslos geworden und habe dann seine Wohnung verloren – eine Negativspirale.
Doch der junge Mann hat auch Hoffnung. Er sagte er habe Arbeit in Aussicht, suche eine Wohnung und erhalte Unterstützung auf seinem Weg zurück in einen geregelten Alltag von der Diakonie Dortmund. Denn auch das muss erwähnt werden. So schlimm die einzelnen Schicksale und persönlichen Rückschläge sind. Wir haben in Dortmund zahlreiche Hilfsangebote. Sowohl bei der Stadt Dortmund als auch bei den Wohlfahrtsverbänden und weiteren Organisationen (wie zum Beispiel Gast-Haus, Caritas, ObdachlosenKaffee St. Reinoldi, Brückentreff, Bahnhofsmission, Bodo, Team Wärmebus, AWO und DRK) arbeiten viele Menschen haupt- und ehrenamtlich, um Obdachlose zu versorgen und ihnen bei ihrem Weg zurück in ihr Leben zu helfen. Dennoch zeigt mir dieser Fall, wie knallhart jeder von uns getroffen werden kann. Dies zu verhindern ist mein Anliegen und sollte Aufgabe unserer Gesellschaft sein.
Dieser Fall ist ein Beispiel extremer Armut. Hier ist ein junger Mensch obdachlos geworden. Aber es gibt auch viele Menschen, die zwar nicht obdachlos sind, aber jeden Tag am oder unter dem Existenzminimum leben. Menschen, die verschuldet oder arbeitslos sind, Menschen, die hart arbeiten, aber nur wenig Geld verdienen und nicht wissen, wie sie die Wohnung, die Kleidung, das Essen und ihre Mobilität bezahlen sollen. Jetzt, wo wir aus Gründen des Infektionsschutzes Masken tragen, springt einen die Armut mancher Menschen förmlich an. Menschen, die die selbe Maske über Wochen und Monaten tragen, weil sie selbst für eine Maske zu wenig Geld besitzen. Man sieht es den Menschen und den Masken häufig an.
Mir ist durchaus bewusst, dass Armut in Deutschland in der Regel relative Armut ist, sich also auf das Umfeld und die Einkommensverhältnisse in der Gesellschaft bezieht. Wir haben ein Sozialsystem, das die meisten Menschen materiell halbwegs auffängt. Dennoch führt diese Armut zu sozialer Ungleichheit, schwierigen Startbedingungen für Kinder, schlechteren Bildungschancen, eine schlechtere Ernährung und mangelnde Gesundheitsversorgung. Wir brauchen einen starken Staat, um Wohlstand, Bildungschancen und ein bezahlbares Leben und Wohnen für alle zu schaffen. Und ein starker Staat muss auch mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet sein, um diese Aufgaben zu erfüllen. Denn einen schwachen Staat können sich nur Wohlhabende leisten. Unser Staat soll aber ein Staat sein, in dem alle Menschen ihre Ziele erreichen können.
Absolute Armut haben wir in Deutschland nur selten. Dies bedeutet, dass ein Mensch nicht für seine eigenen Grundbedürfnisse sorgen kann, Hunger leidet und täglich schauen muss, wie er überlebt. Dies ist eine Form der Armut, die es in zahlreichen Ländern der Erde immer noch gibt und die in den letzten Jahren stark zurück ging, nun aber mit der Corona-Pandemie leider wieder wächst.
Am heutigen Internationalen Tag für die Beseitigung der Armut sollten wir uns das Anliegen dieses Tages nochmal ins Bewusstsein rufen: Armut beseitigen! Ob relativ oder absolut!