Könnt Ihr euch auch noch an die Geburtstagsfeiern erinnern, als ihr Kind wart? Mir fallen einige ein. Die mit den schönen Geschenken (zum Beispiel als ich zum 10. Geburtstag endlich mein geliebtes silberfarbenes Rennrad bekommen habe) oder die mit den besonderen Kindergeburtstagen (häufig hatte ich Karneval Geburtstag und da gab es Verkleidungspartys. Irgendwie habe ich mich nie als Prinzessin verkleidet, sondern häufig mit langem Flatterrock, schwarzer Langhaarperücke und Stola).
Neben all diesen schönen Erinnerungen fallen mir dann meine Großeltern ein. Opa Ernst, der lange Zeit in Kriegsgefangenschaft in Russland war und meine Oma Lene, die mit drei kleinen Kindern aus Ostpreußen nach Schleswig-Holstein floh. Mein Opa war ein ganz stiller Mann, der kaum über seine Erlebnisse sprach. Meine Oma hingegen berichtete oft über diese Zeit. Hart, knallhart musste sie gewesen sein. Und irgendwie konnte ich als Kind diese Geschichten auch nicht mehr hören. Das bereue ich heute sehr!
Denn heute würde ich sie ausfragen über die Rahmenbedingungen der Flucht, würde sie fragen, wie es war, als sie sich mit drei kleinen Kindern aufgemacht hat, ohne Geld, ohne zu wissen wohin genau und ohne zu wissen, wie es weitergeht. Wie es war, als sie sich dann in Schleswig-Holstein eine neue Heimat aufgebaut hat, um dann kurze Zeit später nach Wattenscheid zu ziehen, mit einem Ehemann, der halbverhungert und krank aus der Kriegsgefangenschaft kam. Wie sie die Familie mit Putzen im Kino über die Runden gebracht hat. Und vor allen Dingen würde ich mich bei ihr bedanken. Dafür, dass sie die Kraft aufgebracht hat, weiterzumachen und unser Land wieder aufzubauen.
Warum erzähle ich euch das? Nein, das ist kein Beitrag über Powerfrauen, obwohl das auch gut zu diesem Beitrag passen würde. Dies ist ein Beitrag zum Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung. Und davon gibt es viele – viel zu viele. Allein 14 Millionen Deutsche mussten ab Ende 1944 ihre Heimat verlassen. In schier endlosen Trecks drängten Flüchtlinge aus Ostpreußen, Pommern, Brandenburg und Schlesien in den Westen. Sie verließen ihre Heimat und konnten nur das Nötigste mitnehmen. Viele dachten noch, wenn der Krieg erst einmal vorbei ist, dann würde man schon wieder zurückkommen. Doch der Abschied war für immer.
In ihrer neuen Heimat wurden sie nicht immer höflich empfangen. Viele Einheimische wollten sie erst nicht bei sich am Wohnort haben. Mit ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten, die die Vertriebenen aus ihrer Heimat mitbrachten, leisteten sie aber einen enormen Beitrag zum Wiederaufbau der jungen Bundesrepublik. Sie arbeiteten in der Industrie, unter Tage, im Handwerk, machten sich selbständig und gründeten Kulturvereine. Ihr Beitrag für Wirtschaft und Kultur war groß.
Auch im Jahr 2020 leben wir in Zeiten, wo auf der ganzen Welt Menschen auf der Flucht sind – vor Krieg, Ausbeutung und Gewalt oder weil der Klimawandel ihnen die wirtschaftliche Existenz nimmt. Weltweit sind über 70 Millionen Menschen auf der Flucht. Das ist ein Skandal! Viele von ihnen sind minderjährig. Sie sind traumatisiert und es werden ihnen ihre Lebens- und Bildungschancen genommen.
Wir müssen da hinkommen, dass kein Mensch aus seiner Heimat flüchten muss. Und wenn es mal so sein sollte, dann sind wir in Deutschland in der Lage, ihnen Asyl und Schutz zu gewähren. Wir haben das vor allem 2015 erlebt. Auch diesen Flüchtlingen, die in den letzten Jahren zu uns gekommen sind, müssen wir eine Chance geben. Ich bin mir sicher, dass auch sie, wie die Vertriebenen von 1945, einen großen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten können und wollen.